Die Werte des Westens in Bezug auf Russland

Ich möchte an dieser Stelle einige Worte zu den immer wieder beschworenen "Werten" des Westens in Bezug auf resp. im Kontrast zu Russland schreiben, in Verbindung mit drei Buchempfehlungen.

Spätestens seit dem Beginn der Moderne Mitte/Ende des 18. Jahrhunderts lassen sich diese "Werte" - entkleidet von Floskeln und Geschwätz - in je zwei Worten zusammenfassen: verdeckte Aggression und offene Aggression, wobei die Aggressivität immer Russland unterstellt wurde, um die eigene zu rechtfertigen. Russland wurde vom Westen immer nur als riesige, leider nicht frei verfügbare Landmasse mit unermesslich weiten und sehr fruchtbaren Ackerflächen (Schwarzerde) und als schier unerschöpfliche Rohstoffquelle gesehen. Es gab in Deutschland in der Moderne nur eine Phase vernünftiger Russland-Politik, das war in der Zeit der Kanzlerschaft des Fürsten von Bismarck und seiner Bündnispolitik (Drei-Kaiser-Abkommen von 1873, Drei-Kaiser-Bündnis von 1881 und Deutsch-Russischer Rückversicherungsvertrag von 1887). Wilhelm II. ließ die Verträge nach seiner Entlassung Bismarcks als Reichskanzler zugunsten seiner "Politik der freien Hand" (die den Anfang vom Ende des Deutschen Reiches darstellt) auslaufen. Fürst von Bismarck war der letzte deutsche Politiker mit einer konsequent vernünftigen und klugen Politik gegenüber Russland. Fairerweise sollte Walter Rathenaus Rolle beim Rapallo-Vertrag vom April 1922 erwähnt sein, allerdings wurde Rathenau schon zwei Monate später ermordet, so dass er seine Politik nicht fortsetzen konnte. Interessant ist folgende Anmerkung zum Rapallo-Vertrag - Zitat: "Bis heute spricht man vom 'Rapallo-Komplex', wenn man das Misstrauen meint, das in den Ländern der westlichen Hemisphäre entsteht, sobald Deutschland sich zu sehr auf Russland zubewegt. Dieser Komplex wurde zuletzt beschworen, als man der Regierung Schröder eine Achse „Paris-Berlin-Moskau“ unterstellte." (Wikipedia)

Wann immer der Westen den zaristischen Absolutismus, den sowjetischen Bolschewismus, den Stalinismus und heute die putinsche "Autokratie" zur Rechtfertigung seiner verdeckten oder offenen Aggressionen gegen Russland ins Feld führte, um diese als Kampf für Fortschritt, Demokratie oder heute Menschenrechte - was immer damit auch gemeint sein mag, ich weiß es nicht - zu deklarieren, war das eine verdammte Lüge - eine, die von den ach so demokratischen und fortschrittlichen Wahlschafen im Westen allzu gerne geglaubt wird. Auch der Гражданская война в России, bei uns Russischer Bürgerkrieg genannt (als wäre das eine ausschließlich innerrussische Angelegenheit gewesen), war nicht - wie von allen Invasoren bis heute behauptet - dem Kampf gegen den Bolschewismus gewidmet, sondern verfolgte das Ziel der Zerschlagung und Aufteilung des politisch desolaten und wirtschaftlich am Boden liegenden Russischen Reiches. Von Murmansk (Briten) über Archangelsk (American Expeditionary Force North Russia) über Wladiwostok (American Expeditionary Force Siberia, Briten, Japaner) bis Tschita (Japaner) fielen die Invasoren über Sowjetrussland her (Sowjetunion oder korrekt Союз Советских Социалистических Республик СССР hieß das Land erst ab 30.12.1922). Dazu kam die außerordentlich hohe Finanzierung und Ausstattung der Armeen der Weißen Generäle wie Koltschak, Denikin, Judenitsch, Wrangel u.a. durch UK, Frankreich und USA. Churchill gab an, allein 1919 als britischer Kriegsminister zur Unterstützung der Weißen Armeen 100 Millionen Pfund ausgegeben zu haben, was damals eine gewaltige Summe war.

Eigentlich wollte ich an dieser Stelle auch drei Buchempfehlungen loswerden, bin aber mal wieder ins Plaudern geraten. :-) Doch nun zu meinem eigentlichen Anliegen - die beiden erste Bücher sind "Wir sind immer die Guten: Ansichten eines Putinverstehers oder wie der Kalte Krieg neu entfacht wird" von Mathias Broeckers (2019) und "Die Eroberung Europas durch die USA" von Wolfgang Bittner (2017).

Die Bücher sind - wie ich finde - ein Muss. Sie sind exzellent recherchiert und schildern sachlich und anschaulich die ganze Perfidie der US-Politik und die ganze Jämmerlichkeit der US-Vasallen in Europa, insbesondere in Deutschland. Das dritte Buch ist sozusagen ein Klassiker, den man gelesen haben muss, um das Selbstverständnis der USA und die daraus resultierende Politik zu verstehen, es handelt sich um "Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft" von Zbigniew Brzeziński aus dem Jahr 1997.

Der Mann war nicht irgendwer, er war außenpolitischer Berater verschiedener US-Präsidenten und ein aggressiver Imperialist wie kaum ein Zweiter nach 1945 (das aufzulisten sprengte den Rahmen, kann man bei Wikipedia nachlesen). Der Originaltitel des Buches ist noch aufschlussreicher: "The Grand Chessboard: American Primacy and Its Geostrategic Imperatives". Bemerkenswert ist, dass Brzeziński schon damals exakt beschrieb, was 15 Jahre später in der Ukraine tatsächlich passierte. Obwohl ich mich, für einen ambitionierten Laien zumindest, ganz gut in der neueren Geschichte seit Beginn der Moderne und russischen Geschichte insgesamt auskenne, habe ich in den Büchern Dinge gelesen, die ich bis dahin nicht wusste und die mir die Haare - obwohl sie auf 0,5 Millimeter geschoren sind - zu Berge stehen ließen.

Ich habe seit jeher mit einer Mischung aus Bewunderung und Ekel auf die USA geblickt. Die Lektüre der drei Bücher hat meine Perspektive zugunsten des Ekels verschoben.

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