Russland verstehen - ein historischer Exkurs

Jedes Mal, wenn ich mich mit Themen rund um das Verhältnis der USA, der EU und der NATO zur Russländischen Föderation befasse, bin ich wieder erstaunt, dass Politiker, Militärs und Politikwissenschaftler in den USA und der EU sich praktisch ohne historisches Bewusstsein anmaßen, Urteile über Russland, China, die arabische Welt - kurz: über alles außerhalb ihrer Lebenswelt - abzugeben, dass sie diese Welt außerhalb der ihren maßregeln, disziplinieren und letztlich dominieren wollen. [1 Hinweis]

Das heißt nicht, dass die Vertreter der obigen Professionen in toto kein historisches Wissen hätten, der eine oder andere Fakt wird ihnen bekannt sein, zum Beispiel, dass das liebe Herr Jesulein am 24. Dezember des Jahres Null das Licht der von seinem Vater geschaffenen Welt erblickte - und da fängt das Dilemma schon an. Warum muss der Russe Heiligabend partout am 6. Januar feiern? Das kann nur die typisch russische Renitenz gegen all die wunderbaren Segnungen des Westens sein. Okay, die Orthodoxen in Jerusalem, Serbien, Georgien und (noch) in der Ukraine tun es auch, aber die zählen nicht. Das ist ein zugegebenermaßen etwas sarkastisches Beispiel für die kulturelle Seite dieser Geschichtsblindheit.
Fataler, weil in Entscheidungsprozesse einfließend, ist der politische Aspekt. Der eingangs genannte Personenkreis in den USA und der EU kann einfach nicht verstehen, dass der Prozess, an dem Großbritannien seit 1689 (Ende der Glorious Revolution, Bill of Rights), die USA seit 1865 (Ende des Sezessionskrieges) und Deutschland seit 1849 (Frankfurter Reichsverfassung, bekannter als Paulskirchenverfassung) laborieren, nicht in knappen dreißig Jahren zu haben ist. Als die UdSSR am 26. Dezember 1991 aufgelöst wurde, gab es in den Jahrhunderten der Existenz Russlands seit der Kiewer Rus nie eine parlamentarische Institution. Die Bojarenduma war ein Beratungsgremium aus Bischöfen, Vertrauten der Zaren und hohen Adligen, der sie 1711 ersetzende, durch Peter den Großen geschaffene Regierende Senat war ein Verwaltungsgremium und kein Parlament. [2 Hinweis] Erst 1905 stimmte Nikolaus II. nach der Revolution von 1905 einer Wahlduma als Parlament zu, der Staatsduma, die vom 26. März bis zum 20. April 1906 gewählt wurde. Die Staatsgrundgesetze des Russischen Kaiserreiches als erste russische Verfassung schrieb er sich allerdings 1906 selbst. Doch schon im Oktober 1917 war bekanntermaßen Schluss selbst mit solch rudimentärem Parlamentarismus, stattdessen kamen die Sowjets, die Tscheka, das Dekret über den Roten Terror und die Zwangskollektivierung, gefolgt von Stalin, Genrich Grigorjewitsch Jagoda und Nikolai Iwanowitsch Jeschow mit der Ежовщина (Jeschowschtschina), deren bloße Erwähnung alte Russen noch heute erblassen lässt. [3 Hinweise] Stalin initiierte eine Industrialisierung, die im Zarenreich, abgesehen von vereinzelten Industriezentren, de facto nicht existierte. Diese forcierte die Entwicklung der Schwer-, Rohstoff- und Militärindustrie unter völliger Vernachlässigung der Konsumgüterindustrie. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in der UdSSR unter Nikita Sergejewitsch Chruschtschow und Leonid Iljitsch Breschnew einen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Aufschwung - auch in der Konsumgüterproduktion - und eine Zeit der Stabilität, der bzw. die bis etwa Mitte der 1970er Jahre anhielt. Danach (und nicht 1964 mit Breschnews - der übrigens ethnischer Ukrainer war - Ernennung zum Generalsekretär der KPdSU, wie oft behauptet wird) begann die Zeit der Stagnation, die in Wahrheit eine Zeit des sukzessiven Verfalls war, die mit Konstantin Ustinowitsch Tschernenkos Tod im März 1985 endete und mit Michail Sergejewitsch Gorbatschow in die Phase des Zusammenbruchs überging. Nach der Auflösung der Sowjetunion am 26. Dezember 1991 begann in Russland und den anderen ehemaligen Sowjetrepubliken das, was man heute dort als Jahrzehnt des Chaos bezeichnet, als Boris Nikolajewitsch Jelzin versuchte, Russland einer kapitalistischen Radikalkur zu unterziehen, die letztlich 1998 zum totalen Kollaps des russischen Bankwesens führte. Erst ab 2000 stabilisierten sich relativ zügig Wirtschaft, Finanzen und Lebensbedingungen in Russland - mit dem Beginn der Präsidentschaft Wladimir Wladimirowitsch Putins. [4 Hinweis] Bis 1992 gab es auf dem mal mehr, mal weniger großen Territorium von der Kiewer Rus über das Russische Kaiserreichs bis zum Ende der Sowjetunion nichts, was mit dem westeuropäischen Parteiensystem oder dem Parlamentarismus vergleichbar wäre und es gab nur eine dünne Bürger- und Mittelstandsschicht in den wenigen großen Städten. Zu erwarten oder gar zu fordern, dass Russland eine Entwicklung in knapp dreißig Jahren absolviert, für die Europa und die USA, wo sie noch immer nicht abgeschlossen ist, Jahrhunderte brauchten, ist extrem dumm und bis zur Böswilligkeit ignorant.

Einflusssphären
Einflusssphären USA und Russland

Eine andere Tatsache, die in dieser Geschichtsvergessenheit und - bewusstlosigkeit des Westens auf völliges Unverständnis stößt, ist der Umstand, dass Russland derzeit das am längsten ohne Unterbrechung, also ohne erfolgreiche Besetzung seines Territoriums und/oder Ablösung seiner Staatsmacht durch Dritte, bestehende Reich ist - und eines der größten, das je existierte, dazu. Es umfasste zum Zeitpunkt seiner größten Ausdehnung 1866 mit Alaska 24,5 Millionen Quadratkilometer und liegt damit auf Platz 2 nach dem Britischen Empire (33,67 Millionen Quadratkilometer) und vor dem vergleichsweise kurzlebigen Mongolischen Reich (24 Millionen Quadratkilometer), dem Reich der Mitte, das im Jahr 1790 in der Qing-Dynastie 14,7 Millionen Quadratkilometer umfasste und dem Spanischen Reich mit maximal 13,7 Millionen Quadratkilometer (1810). Das fälschlicherweise oft als größtes Weltreich bezeichnete und sehr kurzlebige, weil mit Alexanders Tod de facto endende Alexanderreich umfasste zum Zeitpunkt seiner größten Ausdehnung "nur" etwa 9 Millionen Quadratkilometer Die Sowjetunion umfasste 1945 22,3 Millionen Quadratkilometer, die Fläche der Volksrepublik China beträgt heute 9,6 Millionen Quadratkilometer. Das Russische Reich war - wie das Reich der Mitte und das Mongolischen Reich und im Unterschied zum Britischen Empire und Spanischen Reich, die globale Flickenteppich waren - ein zusammenhängender Herrschaftsbereich, von Alaska, das 1867 an die USA verkauft wurde, abgesehen. [5 Quellen] Das Territorium der Russländischen Föderation erstreckt sich heute über etwas mehr als 17 Millionen Quadratkilometer und damit ist Russland der größte Flächenstaat der Erde. Im Unterschied zum Reich der Mitte, dessen Geschichte in ein gutes Dutzend Dynastien zerfällt und von der Zeit der Drei Reiche (200 bis 280) unterbrochen wird, hat das Russische Reich eine vergleichsweise konstante Herrschaftsgeschichte, die sich in zwei Dynastien, nämlich das Geschlecht der Rurikiden und das Haus Romanow, nur kurz unterbrochen von der Zeit der Wirren von 1598 bis 1613, in der sich die Häuser abwechselten, in die Zeit der Sowjetmacht von 1917 bis 1991 und die nun bestehende Zeit der Russländischen Föderation unterteilt. [6 Hinweise] Nur in diesem Kontext lassen sich der Konflikt mit der Ukraine und die Heimholung der Krim nach Russland verstehen. Ich habe in diesem Text einiges dazu geschrieben.

Donbass und Krim im russischen Bürgerkrieg

Donbass und Krim im russischen Bürgerkrieg

Der im linken Plakat gemeinte Anton Iwanowitsch Denikin war neben Alexander Wassiljewitsch Koltschak und Pjotr Nikolajewitsch Wrangel der bekannteste und im Bürgerkrieg zunächst erfolgreichste General der Белая гвардия, der Weißen Garde, im Kampf gegen die Rote Armee der Bolschewiki unter Leo Trotzki. Denikin war ein russischer Patriot im besten Sinne, wobei seine lebenslange Feindschaft gegen die Bolschewiki aus seiner Sicht als Ausdruck seines Patriotismus zu werten ist. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion boten die Nationalsozialisten Denikin, der seit 1928 in Paris lebte und das seit dem 14. Juni 1940 von den Deutschen besetzt war, eine Zusammenarbeit und aktive Beteiligung in führender Position gegen die UdSSR an. Denikin lehnte jegliche Kooperation mit dem Deutschen Reich nicht nur kategorisch ab, sondern rief alle in Europa lebenden, russischen Emigranten dazu auf, Deutschland keinesfalls im Kampf gegen die Sowjetunion zu unterstützen. Denikins Haltung war, Russland unter allen Umständen zu verteidigen und den Bolschewismus zu stürzen. Deshalb waren Leute wie Andrei Andrejewitsch Wlassow, Kommandeur der Русская освободительная армия (Russische Befreiungsarmee, eine etwa 125.000 Mann starke Armee aus russischen Freiwilligen, zum größten Teil Kriegsgefangenen, unter dem Kommando der SS) für ihn nichts als Verräter an Russland. [7 Hinweise]

Die Reichsidee ist in Russland sowohl in der Gesellschaft als auch in der Politik nach wie vor präsent, auch wenn sie - von Alexander Geljewitsch Dugin abgesehen - nicht auf die Banner geschrieben wird. [8 Hinweis] Nun ist allerdings im Westen die Reichsidee fast schon ein Tabu, was daran liegt, dass die westlichen Gesellschaften und ihre Politiker ihre eigene Reichsgeschichte in die des Russischen Reiches projizieren. Zugestandenermaßen geben die französische, spanische und belgische Kolonialgeschichte - Stichwort Kongogräuel - wenig Erfreuliches her und noch weniger, was Stolz auf selbige rechtfertigen würde. [9 Hinweis] Die Deutschen wiederum haben ihre Reichsgeschichte so gründlich ruiniert, dass allein die Erwähnung des Begriffes "Reich" bei den meisten Deutschen, insbesondere bei den jüngeren, mit Geschichte nicht allzu sehr vertrauten, Schnappatmung auslöst - und bei einigen, meistens eher älteren Deutschen irrwitzige Fantasien. Beides ist wenig hilfreich, die russische Reichsidee auch nur im Ansatz zu verstehen.

Natürlich ist auch die Expansion des russischen Reiches mit Eroberung und militärischer Gewalt erfolgt, beispielsweise sind die Teilungen Polens dort bis heute unvergessen und insbesondere die Massaker an polnischen Armee- und Polizeioffizieren, aber auch Priestern und Intellektuellen in Katyn, Twer (damals Kalinin), Minsk, Charkow und Kiew während der Vierten Teilung stehen wie ein riesiger Betonklotz zwischen beiden Ländern. Das Massaker war aber kein Spezifikum der russischen Reichsidee, sondern eines des stalinschen Terrors. [10 Hinweis] Andererseits war die Expansionspolitik des Russischen Reiches nicht nur hegemonial und okkupierend, wie es die Eroberungspolitik Spaniens, Portugals, Frankreichs und Belgiens war. Sie orientierte sich an der Pax Romana und war inkludierend, das heißt, in den, dem Reich angegliederten Gebieten wurden die kulturellen und religiösen Eigenheiten nicht nur toleriert, sondern akzeptiert und regionale Eliten behielten ihre Stellung, sofern sie mit der Zentralmacht kooperierten. Angehörige nichtrussischer Ethnien konnten in höchste und allerhöchste Positionen im Reich aufsteigen. Die bekanntesten historischen Beispiele sind die ethnischen Polen Feliks Dzierżyński, der Gründer der Tscheka, und Marschall Konstantin Konstantinowitsch Rokossowski, der ethnische Georgier Iosseb Bessarionis dse Dschughaschwili, besser bekannt als Josef Wissarionowitsch Stalin, und der ethnische Ukrainer Leonid Iljitsch Breschnew. Das bekannteste aktuelle Beispiel ist der ethnische Tuwine Armeegeneral Sergei Kuschugetowitsch Schoigu, der Verteidigungsminister der Russländischen Föderation. [11 Hinweise] Im Ergebnis leben in der Föderation heute 185 Ethnien, die mindestens zwölf Religionen praktizieren - nach der Zahl der Anhänger sortiert: russisch-orthodox, konfessionslos gläubig, islamisch, andere orthodoxe Kirchen, naturreligiös (Tengrismus, Schamanismus), heidnisch (родноверие, slawischer Volksglaube), buddhistisch, altgläubig, protestantisch, jüdisch, hinduistisch, römisch-katholisch. [12 Hinweis]

Ikone der Muttergottes-Hodegetria in Smolensk

Ikone der Muttergottes-Hodegetria in Smolensk

Das Foto hat den Titel "Die wundersame Ikone der Muttergottes-Hodegetria in der Muttergottes-Kirche" und wurde 1912 von Sergei Michailowitsch Prokudin-Gorski, einem Pionier der Fotografie, aufgenommen. Es zeigt die Hodegetria - das ist ein spezieller Typ eines Marienbildes ("die Wegführerin") im Kontrast zur Eleusa ("die Erbarmende") - in Smolensk, die ein wichtiges Heiligtum Russlands war. Am Tag der Schlacht von Borodino wurde sie in einer Prozession durch Moskau getragen. Sie verschwand 1942 oder 1943 während der Besetzung Smolensks durch die Wehrmacht spurlos. In der Schlacht bei Borodino (Бородинское сражение) lieferten sich am 7. September 1812 die von Napoleon angeführte französische Grande Armée und die russische Armee unter General Kutusow eine der blutigsten Schlachten des 19. Jahrhunderts. Sie endete mit einem Pyrrhussieg der Franzosen, die Grande Armée verlor an diesem einen Tag ungefähr 35.000 Sodaten, darunter 47 Generäle. Die russische Armee zog sich ins Hinterland zurück und deshalb gilt die Schlacht als Sieg der Franzosen. In dieser Schlacht kommandierte General Pjotr Iwanowitsch Bagration, ein Fürst aus der georgischen Dynastie der Bagratiden, unter Generalfeldmarschall Fürst Michail Illarionowitsch Kutusow-Smolenski den linken Flügel des russischen Heeres, wurde durch einen Steckschuss schwer verwundet und verstarb zwei Wochen später an den Folgen der Wundinfektion. Gute 130 Jahre später war Bagration im Großen Vaterländischen Krieg der Namensgeber für die Operation Bagration, eine sowjetische Großoffensive, die vom 22. Juni 1944 bis zum 20. August 1944 dauerte. Sie führte zur vollständigen Zerschlagung der Heeresgruppe Mitte und dem Verlust von 28 Divisionen der Wehrmacht. Sie gilt als die schwerste und verlustreichste Niederlage in der deutschen Militärgeschichte und besiegelte die Niederlage des Deutschen Reiches. Das Bild ist ein erstaunliches Beispiel für den Kreis der russischen Reichsgeschichte, die oft nur in Superlativen beschrieben werden kann. [13 Quelle, Hinweise]

Eine wichtige Rolle in der russischen Reichsidee spielt ein spiritueller und religiöser Aspekt - der von Moskau als dem Dritten Rom, auf russisch Москва - Третий Рим. [14 Hinweis] Das Erste Rom war dieser Idee zufolge die Stadt Rom als Zentrum des Römischen Reichs, das Zweite Rom Konstantinopel und das Dritte Rom Moskau. Das dahinter stehende Konzept ist sehr alt und recht komplex, ich habe vor, das in einem anderen Text näher zu erörtern. An dieser Stelle deshalb nur kurz - die Idee geht zurück auf den orthodoxen Mönch Philotheus von Pskow, in Russland bekannter als Filofei (Филофей), der von 1465 bis 1542 lebte. Er war Starez (старец, der Alte, Ältester, der als Berater und Lehrer wirkte) des Eleazar-Klosters in Pskow und schrieb in dieser Eigenschaft um 1500 drei Briefe, jeweils an den Großfürsten Wassili III., an Misjur Munechin, einen Kirchenchronisten, und an Iwan IV., genannt Грозный, den Sohn Wassili III. und damit dessen Nachfolger auf dem Thron des Großfürsten. (Grosnij bedeutet der "Strenge", "Furchteinflößende", "Ehrfurchtgebietende", das Wort грозный stammt von гроза ab, was Gewitter, Gewittersturm heißt. Die Übersetzung "der Schreckliche" ist zwar alt und im Westen gebräuchlich, dennoch aber falsch.)
Wir wissen nicht, was in den Briefen stand, Filofei schrieb aber um 1510 das Konzept seiner Idee vom Dritten Rom nieder, was dem Inhalt der Briefe entsprochen haben soll und keiner der Empfänger hat es dementiert. Der historische Hintergrund ist die Eroberung Konstantinopels im Jahre 1453 durch Mehmed II. womit die orthodoxe Kirche mit der Hagia Sophia ihr wichtigstes Heiligtum und ihre bisherige Machtzentrale verlor. Damit wurde, so Filofei, Moskau das Zentrum der orthodoxen Christenheit und der Großfürst von Moskau ihr führender Vertreter. Filofei beschrieb mit der Heirat Iwans III. mit Sofia Palaiologa, der Nichte Konstantin XI., des letzten Kaisers von Byzanz den genealogischen Anschluss, denn diese Ehe hätte die byzantinische Tradition und Kultur sowie den byzantinischen Hofritus an den Moskauer Hof gebracht. Das war zwar alles nicht ganz korrekt, denn Sofia - sie muss eine bemerkenswerte und beeindruckende Frau gewesen sein - gehörte der mit Rom unierten Kirche an, also der katholischen Ostkirche, und wurde erst in Moskau orthodox. Überdies hatte Sofia Konstantinopel nie gesehen, weswegen es unwahrscheinlich war, dass sie byzantinischen Hofritus nach Moskau mitbrachte. [15 Hinweis] Aber das war egal, denn im Grunde ermahnte Filofei Wassili III. und Iwan IV., ihre derzeitige resp. spätere Rolle als Großfürsten nicht nur als Herrscher zu sehen, sondern endlich daran zu denken, das universale Erbe des byzantinischen Kaisers anzutreten und das Moskauer Reich als Hort der Rechtgläubigkeit zu etablieren. Moskau wäre der letzte, kleine Rest der einstmals großen christlichen Zivilisation, nachdem überall sonst - insbesondere im Katholizismus - die Häresie Einzug gehalten hätte. Deshalb wäre Moskau als Drittes Rom auch das letzte Rom, denn ein Viertes würde es nicht geben - "четвёртому не быти", weil, wenn es scheiterte, das Weltende nahe wäre. Damit bekam das Russische Reich in seiner Entstehungsphase ein religiös-spirituelles und zugleich politisch-ideeologisches Fundament, das bis heute sowohl explizit in der russisch-orthodoxen Kirche als auch implizit in der Politik Bestand hat.

Ich kann durchaus nachvollziehen, dass es für Menschen, die im Kontext westlicher Kultur sozialisiert wurden, sowohl die russische Geschichte als auch die russische Reichsidee und die vom Dritten Rom schwer zu verstehen sind. Ich kannte früher zwar die russische Geschichte recht gut, die beiden letztgenannten Aspekte aber nicht und konnte sie anfangs auch nicht wirklich verstehen. Eigentlich hat mich erst die intensive Beschäftigung mit der russischen Kultur, insbesondere mit der Musik, diese Besonderheit der russischen Historie und des russischen Denkens verstehen lassen, soweit das einem Nichtrussen halt möglich ist. Ich kann aber definitiv nicht nachvollziehen, mit welcher Geschichtsblindheit und mit welch aggressiver Ignoranz, die oft in offene Feindseligkeit umschlägt, sich die nach meiner Erfahrung weitaus meisten Menschen im Westen und ihre politischen Führer in den USA, der EU und der NATO über diese Tatsachen hinwegsetzen und meinen, Russland und den Russen diktieren zu dürfen und zu können, was für sie gut und richtig sei.

Auf der russischen Webseite RBTH sind eine Reihe kurzer Artikel zur Geschichte mit Bezug auf Russland zu finden. Die Texte genügen zwar nicht geschichtswissenschaftlichen Standards, sind aber sehr informativ insbesondere zu Themen, die hierzulande selten bis gar nicht in den Medien zu finden sind, das betrifft besonders auch die Fotos und Illustrationen.
Russia Beyond the Headlines - Geschichte

Fußnoten und Quellen

[1] Der Einfachheit halber schreibe ich - wie es die Russen auch tun - meistens Russland (Россия), wenn ich die Russländische Föderation (Российская Федерация) meine, was die offizielle Bezeichnung des Staates ist. Ich schreibe aber nie Russische Föderation (Русская Федерация), weil das schlicht falsch ist. Das Adjektiv русский bezieht sich auf die russische Ethnie und Sprache, während российский das Territorium und seine Staatsbürger meint, die nicht alle ethnische Russen sind. Deshalb hatte die Unterscheidung in Russland schon immer eine große Bedeutung.



[4] Bundeszentrale für politische Bildung - Stabilität und Stagnation unter Breschnew - ein sachkundiger und sachlicher Artikel zum Thema: https://www.bpb.de/...breschnew

[5] Liste der größten Imperien und Reiche https://de.wikipedia.org/...Imperien_und_Reiche
Liste der größten Imperien https://de.qwe.wiki/wiki/List_of_largest_empires

[6] Liste der russischen Herrscher https://de.wikipedia.org/...russischen_Herrscher
Zarentum Russland - Русское царство https://de.wikipedia.org/wiki/Zarentum_Russland
Russisches Kaiserreich - Российская Империя https://de.wikipedia.org/wiki/Russisches_Kaiserreich
Rurikiden https://de.wikipedia.org/wiki/Rurikiden
Romanow https://de.wikipedia.org/wiki/Romanow






[12] Ethnic groups in Russia https://en.wikipedia.org/wiki/Ethnic_groups_in_Russia
Religion in Russia https://en.wikipedia.org/wiki/Religion_in_Russia
Die englischen Versionen sind aktueller als die deutsche Versionen.


[14] Drittes Rom - Москва - Третий Рим https://de.wikipedia.org/wiki/Drittes_Rom